Cadillacs, Biker, Kleinstädte – und das Gefühl von unendlicher Freiheit: Die Route 66, die „Mother Road“ Amerikas, wie sie John Steinbeck einst nannte, hat sich ins Gedächtnis vieler eingebrannt. Im legendären Song „Get Your Kicks On Route 66“ zählt Robert William „Bobby“ Troup Jr., die Ortschaften entlang der Strecke auf. Der ideale Soundtrack zur Vorbereitung - und um die bekannteste Straße Amerikas mit dem Mietauto zu erkunden.
Von 1926 bis in die 1960er Jahre war die knapp 4.000 Kilometer lange Route 66 Amerikas Hauptverkehrsachse. Tausende Lkws machten sich täglich von Chicagos Hochhausschluchten auf in den Westen, durch mehrere Bundesstaaten und Zeitzonen hinweg in Richtung Pazifik. Heute ist die Route 66 auf keiner Straßenkarte mehr verzeichnet. Vielspurige Interstates haben sie ersetzt, aus wirtschaftlicher Sicht ist sie nur noch Nebenschauplatz. Lange war die legendäre Straße ein vergessener Highway voller Geisterstädte. Motels, Restaurants und Tankstellen schlossen im Wochentakt. Doch dann kam „Easy Rider“. Und die 66 wurde zum Symbol für Freiheit, zu einem Ort für Träumer, Abenteurer und Biker. Der alte Highway, dank der neuen Popularität bis heute gut erhalten, führt ins Herz Amerikas, vorbei an großen Neonschildern, die von besseren Zeiten erzählen, gemütlichen Diners mit Familientradition und Autokinos. Das Gefühl, nie genau zu wissen, was sich hinter der nächsten Kurve verbirgt, ist dabei steter Begleiter. Und für viele liegt genau hierin auch der Reiz der Straße. Buchen Sie einen Mietwagen und machen Sie sich auf den Weg, die USA zu entdecken. Am besten mindestens drei Wochen lang.
Ausgangspunkt der 66 ist Chicago, eine Architekturperle am Ufer des Lake Michigan, in der der ehemalige US-Präsident Barack Obama aufwuchs – und Talkqueen Oprah Winfrey bis heute lebt. Hier im Nordosten der USA, zwischen den Wolkenkratzern, genauer gesagt unter den Gleisen der loopförmigen Hochbahn, beginnt die Route 66. Das Chicago Board of Trade, ein Wahrzeichen des Kapitalismus, markiert den Start der ersten großen Straße Amerikas.
Springfield, 323 Kilometer südwestlich von Chicago, ist eine jener Städte, deren Geschäfte nach dem Bau der Interstates die Kunden ausgingen. Dennoch kommen hier Touristen auf Spurensuche nach dem verlorenen Highway vorbei. Erste Anlaufstelle für Nostalgiker ist das kleine Zapfsäulenmuseum „SHEA’S“, ein Sammelsurium alter Vintage-Zapfsäulen, Straßenschilder und Telefonzellen, das einst eine florierende Tankstelle war. Inhaber Bill Shea, mittlerweile über 90 Jahre alt, erzählt noch heute gern von den glorreichen Zeiten entlang der Route 66. Da er inzwischen nur noch unregelmäßig an seiner Tankstelle sitzt, empfiehlt sich vorab ein Blick ins Internet oder eine Terminvereinbarung mit seinem Sohn.
Vor oder nach dem Museumsrundgang lohnt es sich, das „CozyDogs“ zu besuchen. Das traditionelle Diner, das vollgepackt mit Erinnerungsstücken und alten Zeitungsausschnitten einem Schrein gleicht, ist fester Bestandteil der Geschichte der Route 66. Ed Waldmire erfand hier 1946 den berühmten Hot Dog am Stiel. Statt in ein Brötchen wird die Wurst einfach in Maisteig getunkt und frittiert. Bis heute bereiten die Waldmires die Delikatesse täglich von Montag bis Samstag zu. Familienbetriebe wie ihrer machen den Charme der Route 66 aus.
Knapp 70 Kilometer weiter in Richtung St. Louis taucht am Straßenrand das Sky View Drive-In auf, eines der letzten verbliebenen Autokinos. Früher gab es hier knapp 50 davon, heute sind die meisten nur noch Ruinen. Hauptattraktion in vergangenen Zeiten waren die so genannten Love Lanes, wo sich Liebespaare in den biederen 1950er Jahren ungestört vergnügen konnten. Heute ist das Sky View Drive-In ein Ort, an dem Gemeinschaftssinn zelebriert wird und die Einheimischen bei salzigem Popcorn den neuesten Dorfklatsch austauschen, bevor der Film beginnt.
Durch die Bundesstaaten Missouri und Kansas hindurch führt der Weg nach Oklahoma. Hier breitet sich der Charme des Wilden Westen aus. 1.600 Kilometer mit dem Mietwagen von Chicago entfernt, liegt Amarilla, die selbst ernannte Cowboy-Hauptstadt der USA. Und einer der größten Viehmärkte. Nirgendwo sonst wird so viel Fleisch verschlungen wie in den saloon-gleichen Restaurants. Im „The Big Texan Steak Ranch“ treten regelmäßig Wagemutige die Herausforderung an, ein Riesensteak auf Kosten des Hauses zu vertilgen. Gratis gibt es das mehr als zwei Kilogramm schwere Steak allerdings nur, wenn es innerhalb von 60 Minuten vom Teller verschwindet.
Etwa fünf Kilometer westlich der Stadt im Potter County wurde in den 1970er Jahren dem alten Highway ein Denkmal gesetzt. Im wüstengleichen Ambiente stecken hier zehn Cadillacs bis zur Mitte im staubigen Boden. Es ist ein Kunstwerk zum Anfassen, an dem sich vor allem Sprayer immer wieder austoben und die Autos in knallbunten Graffitis aufleuchten lassen. Aber auch Besucher dürfen ihre Spuren hinterlassen.
Hinter Amarillo sind die Ruinen der Geisterstädte längst zu Attraktionen geworden. Ein Foto vor dem Midpoint, der Legende nach exakt auf halber Strecke von Chicago und Los Angeles, darf in keinem Urlaubsalbum fehlen. Die nur noch knapp 200 Einwohner leben heute allein von der Tatsache, dass Touristen des Straßenschildes wegen in ihrem kleinen Örtchen anhalten.
Stets geradeaus geht es auf der Route 66 immer tiefer in den Westen. Der Highway passiert einige der schönsten Kulissen des amerikanischen Westens, wie etwa die Painted Desert, und führt durch das Land der Pueblo-Indianer in New Mexico. Hier kann man auf Klippen die verlassenen Häuser der ersten Einwohner Amerikas besuchen. Die Landschaften und Ortschaften werden hingegen immer karger und trostloser, je tiefer der Weg nach Arizona hineinführt. Ausgerechnet dort, wo sich weitläufige Tristesse breit macht, befindet sich ein UNESCO-Weltnaturerbe: der Grand Canyon. Die einsame Schlucht des Colorado River windet sich auf 450 Kilometern durch das Land. Es gibt weder Brücken noch Tunnel, um auf die andere Seite zu kommen. Größere Ortschaften: Fehlanzeige. Wer keine Zeit für eine ausgiebige Tour hat, sollte zumindest kurz rechts ranfahren und einen Blick über den Rand des Canyons werfen. Für Adrenalin-Junkies gibt es eine Aussichtsplattform aus Glas.
Bevor die Route 66 Kalifornien erreicht, windet sie sich noch einmal abenteuerlich durch die Berge und ein ehemaliges Goldgräber-Gebiet. Wo sich einst eine Mine an die andere reihte, zeugen heute nur noch rostige Hinterlassenschaften vom Goldrausch. Riesige Dampfmaschinen und Zentrifugen zieren die Kulisse, die sich für ein Erinnerungsfoto der anderen Art eignet.
Das verschlafene Seligman, letzter Pflichtstopp entlang der Straße, ist so etwas wie der Inbegriff des Route-66-Gefühls. Der Grund: Angel Delgadillo. Der Friseur wurde durch sein unermüdliches Engagement für den Erhalt der legendären 66 bekannt. Seligman befand sich nach der Stilllegung des Highways auf direktem Weg zur Geisterstadt. Der heute über 90-jährige Delgadillo startete eine Kampagne und leitete damit das Comeback der Route 66 ein. Heute lebt der Ort vom Mythos der Straße. Menschen aus aller Welt kommen mit dem Mietwagen nach Seligman. Nicht vorranging wegen eines neuen Haarschnitts, sondern in erster Linie, um Delgadillos Geschichten aus der alten Zeit zu hören.
In Kalifornien endet die Route 66. Hier lassen sich die vielen Stunden im Mietwagen gegen ein paar entspannte Tage am Strand von Santa Monica eintauschen. Bremsen Sie ab und tanken Sie erstmal ein bisschen Meeresluft. Wer die Straße dann doch noch bis ganz zum Ende fahren will, landet direkt im Großstadtmoloch von Los Angeles.