Auf den ersten Blick erscheinen sie manchmal karg oder gar trist. Geht man näher an die riesigen Steine heran, entpuppt sich dieser erste Eindruck oft als falsch. In zahlreichen Wäldern in Norddeutschland liegen mystische, manchmal kreisrunde, manchmal längliche Ansammlungen riesiger Findlinge. Dahinter verbergen sich faszinierende Bauten aus Granitsteinen, die mit der vorletzten Eiszeit aus dem Norden in unsere Breitgrade geschoben wurden. In der Jungsteinzeit gaben die Europäer ihr Leben als Jäger und Sammler auf und wurden zunehmend sesshaft. Mit der bäuerlichen Lebensweise änderte sich auch der Umgang mit den Verstorbenen. Ihnen zu Ehren errichtete man in mühevoller Arbeit aus den Findlingen eindrucksvolle Grabanlagen inmitten der dichten Wälder und auf kleinen Berge.
Autovermietung HanoverObwohl weit weniger bekannt, haben die so genannten Megalithgräber mehr Jahre auf dem Buckel als die ägyptischen Pyramiden. Besonders im Mittelalter war viel Aberglaube mit den steinigen Denkmälern verbunden – von Feen, die in den Steinhaufen lebten, war die Rede. Und vom Teufel, der sie errichtet hatte. Letzteres führte dazu, dass viele der riesigen Formationen in der Folgezeit zerstört wurden. Die Steine mussten als Fundament von Häusern und Kirchen und zum Bau von Deichen herhalten. Einige Gräberfelder aber haben die Jahrtausende hinter Erdwallen und unter Bergen aus Sand und Moos überdauert. Mehr als 70 liegen entlang der Strecke von Osnabrück übers Emsland nach Oldenburg. Hier führt die Straße der Megalithkultur entlang – und die Route für unseren Mietwagen-Kurztrip von Hannover.
Von der Hauptstadt Niedersachsens aus geht es mit dem Auto ins rund zwei Stunden entfernte Osnabrück. Die nordwestdeutsche Stadt steht zugegebenermaßen nicht unbedingt auf der Liste der beliebtesten Ausflugsziele. Allerdings tut man ihr damit ein wenig Unrecht. Ihre engen Gassen werden von farbigen Kaufmannshäusern mit kleinen Treppengiebeln gesäumt, manchmal sogar noch in der barocken Fachbauwerkweise, die einst maßgeblich die Stadtkulisse mitprägte. Inmitten eines Naturparks gelegen blickt man vom alten Stadttor aus über die Altstadt und sieht immer wieder die roten und mitunter schiefen Dächer aus dem Grün hervorblitzen. In den Hinterhöfen verstecken sich in zweiter Reihe rund 30 bis ins Dachgewölbe gemauerte Steinwerke, die einst das Hab und Gut wohlhabender Bürger schützten und in ihrer Art einzigartig in Deutschland sind.
Direkt vor den Stadttoren Osnabrücks in einem Buchenwald bei Wallenhorst liegt eines der sagenumwobensten Megalithgräber: die Karlsteine. Der Legende nach soll Karl, der Große beim Kampf gegen den Sachsenfürsten Widukind mit dem Schwert die riesige Deckplatte der Steine entzweigeschlagen haben. Tatsächlich sind die Karlsteine ein etwa 5.000 Jahre altes Massengrab. Anzunehmen, dass die Menschen damals mit der Legende zu erklären versuchten, warum die Deckplatte in mehreren Teilen zerbrochen auf dem Boden am Fuße des Osnabrücker Piesbergs liegt.
Aus dieser vorgeschichtlichen Kulisse führt die Route in den äußersten Westen Niedersachsen, nur knapp 20 Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt. Im beschaulichen Emsland liegt umgeben von Mooren, Dünenlandschaften und Wacholderhainen die alte Festungsstadt Meppen. Mehr als 1.200 Jahre reichen ihre Wurzeln zurück. Ideal gelegen am Zusammenfluss von Hase und Ems stieg Meppen einst zu einer fürstbischöflichen Festungsstadt auf. Noch heute sind Teile der alten Wallanlage sichtbar und eine Mauer mit Graben umschließt die Altstadt. Am südlichen Ende des historischen Marktplatzes steht das Rathaus, dessen Untergeschoss aus mächtigen Findlingen 1408 errichtet wurde.
Noch immer liegen in unmittelbarer Nähe zu Meppen zahlreiche aus riesigen Felsblöcken aufgetürmte Hügelgräber, aber auch kleine Berge, die als vorzeitliche Friedhöfe dienten. Auch wenn man letztere ein wenig suchen muss, wie etwa die Mansenberge. Und das obwohl sie zu den bekanntesten bronzezeitlichen Grabhügelfeldern des Emslandes gehören. In dem acht Hektar großen Naturschutzgebiet erheben sich insgesamt 83 Hügelgräber, manche bis zu drei Meter hoch. Die ursprüngliche Zahl soll noch weit höher gelegen sein. Viele wurden über mehrere Generationen von Ur-Emsländern für ehrenvolle Bestattungsrituale genutzt. Mit Seilen sollen sie dafür die Findlinge gezogen und auf Baumstämme gewuchtet haben, um sie zu Gräbern zu formieren. Im Inneren der Hügel, die heute von blühender Heide überzogenen sind, ruhen die alten Steinsetzungen mit den Grabkammern.
Vom flachen Emsland führt die Route mit dem Mietwagen durch Mischwald-bedecktes Hügelland mitten in die ausgedehnten Waldgebiete des Naturparks Wildeshauser Geest im Oldenburger Land. Durchbrochen wird der größte Naturpark Niedersachsen vom Flusstal der Hunte, die das Mittelgebirge und die Küste miteinander verbindet und an deren Uferläufen sich zahlreiche Gesichter offenbaren: In der Wilden Geest, wie die Einheimischen die Region gern nennen, verstecken sich in den waldreichen Moor- und Heidelandschaften um die kleinen Ortschaften besonders mächtige Großsteingräber und rätselhafte Findlinge.
Südlich von Wildhausen liegt das Pestruper Gräberfeld – in prominenter Nachbarschaft zu den Kleinenknetener Steinen und dem Visbecker Bräutigamsgrab, wo die gesamte Verwandtschaft eines Bräutigams zu Stein erstarrt sein soll, nachdem die Braut einen Fluch ausgesprochen hatte. Nach einer der zahlreichen Legenden, die sich um die Pestruper Gräber ranken, sollen hier hunderte an Pest verendete Riesen ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Anders als in den meisten Großsteingräbern entlang der Route wurden die Toten hier tatsächlich einzeln bestattet. Die Anzahl und Größe der Hügelgräber gelten als einzigartig in Europa. Im Spätsommer zeigen sich auf ihnen lilafarbene Heideblüten und um die wenigen Birken, die dazwischen Wurzeln schlugen, grasen sich Schafe durch den rund 30 Hektar großen bronze- und eisenzeitlichen Friedhofs.
Von den Hügelgräbern geht es weiter nach Norden in die einstige Residenzstadt Oldenburg, der letzten Station dieser legendenreichen Route. Durch die Nähe zur Küste verirrt sich schon mal die eine oder andere Möwe in die engen Gassen. Früher wohnten vornehmlich Grafen und Herzöge in der norddeutschen Stadt und noch heute erzählt das imposante gelbe Schloss in der Mitte von dieser Zeit. Mehr als 100 Jahre lang hielten auch die Dänen das Zepter in der Hand. Mittlerweile sind es Studierende, die mit ihren Fahrrädern das Stadtbild und das entspannte Flair maßgeblich mitbestimmen.
Bevor die Reise wieder zurück nach Hannover führt, sollte man sich in Oldenburg noch auf die Suche nach dem Kultgemüse der Stadt machen: Grünkohl. Auch wenn der generell die frische norddeutsche Brise schätzt und hier gut gedeiht, in Oldenburg spielt das Kohlgemüse eine besondere Rolle und hat es sogar in die älteren Urkunden der Stadt geschafft. Wer authentisches Essen liebt, kommt am „Ratskeller“ nicht vorbei: Bei norddeutscher Hausmannskost und Grünkohl in allen möglichen Formen bekommt man schnell ein Gefühl dafür, wie es hier wohl zugegangen sein mag, als noch die Ratsherren nach getaner Arbeit einkehrten.